Südafrikanische Okkupation
Während des ersten Weltkriegs wurde 1915 Südwestafrika von südafrikanischen Truppen okkupiert, und vier Jahre später betraute der Völkerbund in Genf die Südafrikanische Union mit einem sog. Mandat, d. h. mit der Aufgabe, das Gebiet „im Einklang mit den Interessen der einheimischen Bevölkerung“ zu verwalten und Vorbereitungen für seine spätere Unabhängigkeit zu treffen. Doch Südafrika, mit seiner seit 1910 verfassungsmäßig weißen Einwanderern vorbehaltenen Regierung, tat gerade das Gegenteil. Faktisch wurde Namibia als eine „fünfte Provinz“ des sich entwickelnden Apartheid-Staates betrachtet.
Ab 1920 wurden nach südafrikanischem Vorbild Bestimmungen über Zwangsarbeit erlassen, wurde das Paßsystem eingeführt, demzufolge Schwarze im ländlichen Raum für das Verlassen der ihnen zugewiesenen Reservate eine Genehmigung brauchten. Die alltägliche Segregation zwischen den (etwa hunderttausend) „Weißen“ und den (etwa eineinhalb Millionen) „Schwarzen“ wurde verstärkt, oppositionelle Bestrebungen nationalistischer und sozialer Art unterdrückt. Während britisch-südafrikanisches Kapital von Windhoek aus den industriellen Abbau der Bodenschätze intensivierte und deutsche Farmer und Firmen weiterhin den landwirtschaftlichen Sektor beherrschten, wurden die politischen Entscheidungen in Pretoria und Kapstadt getroffen.
Ab 1964, dem sogenannten Odendaal-Plan zufolge, begann Südafrika auch das Bantustansystem auf Namibia zu übertragen. Zehn (willkürlich rassisch klassifizierte) schwarze Volksgruppen des Landes sollten in ebensoviele „Homelands“ zusammengefaßt werden, die insgesamt etwa einem Drittel der Fläche des Landes entsprachen; das fruchtbare Ackerland, die Uran- und Diamantminen, die Städte und Naturparks verblieben unter weißer Kontrolle. Den Homelands wurden in beschränktem Ausmaß Selbstverwaltungsrechte eingeräumt, regimehörige schwarze Politiker wurden gefördert.
Freilich: Es wuchs auch der Widerstand. Am 10. Dezember 1959 endete eine Demonstration gegen die Zwangsumsiedlung von Windhoeker Schwarzen ins Ghetto von Katutura mit einem Massaker; 11 Menschen starben, 54 wurden verwundet. Nach dieser für den namibischen Widerstand einschneidenden Erfahrung vereinigten sich (am 19. April 1960) die wichtigsten oppositionellen Organisationen des Landes zur South West African People’s Organisation, der SWAPO, die den Kampf um nationale Selbstbestimmung und um eine demokratische Gesellschaft auf eine neue Basis stellte. Zunächst geschah dies mit rein friedlichen Mitteln, ab 1966 wurde zusätzlich mit der Aufstellung der Befreiungsarmee (People’s Liberation Army/PLAN) begonnen. 1973 wurde die SWAPO von den Vereinten Nationen als die authentische Vertreterin des namibischen Volkes anerkannt.
SWAPO sah sich bewußt in der Tradition des antikolonialen Widerstands der namibischen Führer des 19. Jahrhunderts. Doch je mehr sich Unabhängigkeitsaktivitäten unter den Namibiern verstärkten, desto härter wurden auch die Schikanen. Hermann Toivo ja Toivo und andere Führer der SWAPO wurden inhaftiert und zu langjährigen Kerkerstrafen verurteilt, andere – wie der Gründer und erste Präsident der SWAPO, Sam Nujoma, – mußten ins Ausland flüchten. Schließlich machten über hunderttausend südafrikanische Soldaten die Kolonie zum Militärcamp. Vier Fünftel der Bevölkerung – nämlich der Norden des Landes – wurden durch die 1977 erlassene Proklamation AG9 unter Ausnahmerecht gestellt. Militärische Spezialeinheiten, vor allem die südafrikanische Elitetruppe „Koevoet“ („Brechstange“), führten ein Regime des Terrors, an die hunderttausend Namibier sahen sich gezwungen, in die Nachbarländer zu fliehen.